Die Berliner Saxofonistin, Komponistin und Bandleaderin Silke Eberhard ist bekannt dafür, keine Zugeständnisse an Zeitgeschmack oder Hörgewohnheiten zu machen. „Amoeba’s Dance“, das neue Album ihrer Band Potsa Lotsa XL, ist trotzdem ihre bislang zugänglichste Einspielung. Das mag am vertonten Sujet liegen, den verschiedenen Erscheinungsformen der Amöbe, dem sie sich mit emotionaler Hingabe widmet. Das sehende Ohr begibt sich in einen wimmelnden Mikrokosmos, der von einer Vielzahl sympathischer und liebenswerter Wesen bevölkert ist, welche eine völlig andere Weltsicht haben als wir selbst. Sowie man sich auf diese Welt einlässt, beginnt man zu schrumpfen und auch Silke Eberhards Musik mit anderen Ohren zu hören. Ihre mikroskopische Forschung in Tönen resultierte in 18 Skizzen, die sie später zu Kompositionen ausarbeitete.
Der Gesamtsound ihrer Band ist sehr kleinteilig und organisch. Silke Eberhard gelingt das seltene Kunststück einer perfekten Balance zwischen den größtmöglichen Freiräumen für alle an dem Album Beteiligten und dem, was von sich aus innerhalb ihrer Nano-Zoos passiert. Die mikroskopische Nähe des Themas evoziert zugleich eine überraschende Nahbarkeit im Klang. Jedes Stück hat das Eigenleben eines autarken Organismus, und doch ergeben all diese Organismen ein Gewimmel, in dem sich jedes Einzelne wieder abbildet und umgekehrt. Jeder Part leitet seine Rechtfertigung durch seinen Platz in der Gesamtfolge ab.
Außer der Bandleaderin an Altsaxofon und Sopranflöte tummelt sich auf „Amoeba’s Dance“ ein ebenso flexibler wie empathischer Allstar-Cast der Berliner Jazz-Avantgarde mit Klarinettist Jürgen Kupke, Tenorsaxofonist und Klarinettist Patrick Braun, Trompeter Nikolaus Neuser, Posaunist Gerhard Gschlößl, Cellist Johannes Fink, Vibrafonistin und Perkussionistin Taiko Saito, Pianist Antonis Antissegos, Bassist Igor Spallati und Drummer Kay Lübke. Mit „Amoeba’s Dance“ schlägt Silke Eberhard ein völlig neues Kapitel in ihrer musikalischen Laufbahn auf. Man könnte es auch so beschreiben, dass sie sich nicht zuletzt durch ihre intensive Beschäftigung mit Charles Mingus, Ornette Coleman, Eric Dolphy, Henry Threadgill und anderen formativen Größen der Jazzgeschichte ihr ureigenes Vokabular geschaffen hat, das sie nun in einem neuen Wörterbuch festhält und von jetzt an mit ihrer ureigenen Mischung aus ungebremstem Forscherdrang und kreativer Nachhaltigkeit weiter ausformulieren wird.
Fotocredit: Potsa Lotsa XL © Dovile Sermokas